Ich war 1968 schon 25 Jahre alt, am Ende des Studiums und bereits sieben Jahre SPD-Mitglied. Die revolutionären Wirren 1968 betrachtete ich ironisch distanziert. So durfte ich in der „besetzten“ Bibliothek der Germanisten zwar –wg. Examen – ungestört lesen, war dabei aber dauerhaft mit dem Sinnspruch „ Keine Revolution ohne Kopulation“ konfrontiert.

Dabei fing alles so gut an: Ich habe von Anfang an an, also ab 1965 an allen Protestaktionen der Studenten teilgenommen, so z. B. am ersten Sit-in, das unsere Vertreter im Senat unterstützen sollte im Widerstand gegen angedachte Zwangsexmatrikulationen. Unsere Protestformen waren importiert aus den USA, gewaltfrei und locker fröhlich. Wir strotzten vor Selbstbewusstsein und waren sicher, dass unsere Ideen zur Demokratisierung der Universitäten und der Gesellschaft sich durchsetzen würden. Bekamen wir z.B. für eine Demonstration die Auflage, eine Unmenge von Ordnern zu stellen, so war das leicht zu bewerkstelligen: Wir alle trugen Ordnerbinden und umrahmten in 50iger-Gruppen jeweils einen Demonstranten.

Diesen Jahre der Studentenbewegung verdanke ich viel: Freude am herrschaftsfreien Diskurs, wenig Respekt vor Autoritäten, Abscheu vor Opportunismus.

Bei den Jusos in Berlin entwickelte sich in den von Studenten dominierten Stadtteilen ein neuer linker Flügel. Ich gehörte nicht dazu. Die Spandauer Jusos verstanden sich als linke Mitte im Verband. Im Mittelpunkt der Juso- und der Parteiarbeit stand die Entwicklung einer neuen Ost- und Deutschlandpolitik, was in der sehr konservativen Berliner SPD nicht leicht war.

Gerade weil ich einigermaßen politisch erfahren war, beobachtete ich die sich rasant vollziehende „Politisierung“ an der Uni mit zunehmender Skepsis. Allerhand sektiererische und groteske Weltanschauungen breiteten sich schnell aus: Dogmatische Marxisten erklärten „ Das Kapital “ von Marx als einzigen Zugang zur Realität, Mao-Anhänger predigten ihre Weisheiten (das kleine rote Buch hatte ich zunächst als Satire gedeutet). Verbalradikalismus und Antiamerikanismus breiteten sich aus. Auf den Vollversammlungen im Audimax herrschte zunehmend revolutionäre Phrasendrescherei und eine erschreckend intolerante, nahezu hysterische Atmosphäre. Es galt z.B. schon 1967 als angemessen, ein hochrangig besetztes Podium zur Situation im Iran alle 10 Minuten durch den kollektiven Schrei „Hoch die Internationale Solidarität“ zu unterbrechen.

Mit großer Hochachtung denke ich deshalb an Rudi Dutschke, der nach dem Tod von Benno Ohnesorg Tausende von Studenten, die sich an der FU versammelt hatten ( ich war auch dabei), nach Verabschiedung einer Resolution zum friedlichen Gang nach Hause bewegen konnte. Viele wären ohne seinen eindringlichen Appell, bei dem er seine ganze Autorität in die Waagschale warf, wohl andere, gewalttätige Wege gegangen.

In der Folgezeit ging ich zunehmend auf Distanz, reihte mich nicht mehr ein, ließ mich nicht von der Polizei verkloppen, hielt das auch nicht für bewusstseins-erweiternd. So wie ich hat sich die überwiegende Mehrheit meiner Studentengeneration verhalten. So kam es, dass die so machtvolle Studentenbewegung sich einfach auflöste und der größte Teil sich auf den langen Marsch durch die Institutionen machte. Ich wurde Lehrerin, weil Lehrer damals dringend gebraucht wurden, und ich wahlkämpfte 1969 für Willy Brandt und 1972 für eine neue Ostpolitik.

Auch das Scheitern der Studentenbewegung hat mich sehr geprägt. Seither bin ich misstrauisch gegenüber „Bewegungen“, die auf massenhafter Politisierung “aus dem Stand “ beruhen.



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